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Lieder für Land und Leute

Liedtexte

doppelt gewendet (2024)

1 Land (Schlaflied)

Text: Martin Miersch


Die Gaukler kratzen sich, die Flöhe beißen,
die Katzen grinsen breit und subversiv,
die Kinder hocken auf dem Topf und weinen,
die Dissidenten wühlen im Archiv.
Sie müssen jede Woche was beweisen,
was jedermann verschweigt, ist ihr Gewinn,
die Frau im Supermarkt vergleicht die Preise,
das Land träumt noch ein wenig vor sich hin.


Das Parlament erhöht sich die Diäten

und hinterher die Steuern für Benzin,
ein Moslem rollt den Teppich aus zum Beten,
ein Zuckerkranker spritzt sich Insulin.
Ein Seelenkranker spritzt sich harte Drogen,
bald stirbt die letzte freie Raucherin,
selbst an der Börse glätten sich die Wogen,
das Land träumt noch ein wenig vor sich hin.


Die Bundeswehr fliegt in die fernen Länder,

die Waffenlobby feiert ihr Comeback.
Der Pförtner reißt das Gestern vom Kalender,
liest den Spruch zum Tag und wirft ihn weg,
dann überlegt er noch ein paar Minuten,
und kommt doch nicht so recht hinter den Sinn,
die Flöhe beißen, und die Gaukler bluten,
das Land träumt noch ein wenig vor sich hin.


2 Nicht willkommen 

Text: Heike Mlidner


Und wieder ist der Friede
der Friede nicht willkommen
Die Freiheit schreit nach Waffen
und will ihr Recht bekommen
ganz egal, wie viel es kostet
und wie viele für sie sterben
wer ihr blind folgt, der folgt ihr ins Verderben.
Ref. Der Krieg spielt auf zum Tanze
wie schon vor tausend Jahren.
Wem zuckt es in den Beinen
und wer bläst in die Fanfaren?
Wir drehn uns immer schneller
bis wir befreit verschwinden

von dieser Erde aus genannten Gründen.


Und wieder ist der Friede …
Keiner fragt mehr nach den Gründen,
jeder pocht auf seine Lügen,
beschimpft den andern und will ihn besiegen
Ref. Der Krieg spielt auf zum Tanze
wie schon vor tausend Jahren.
Wem zuckt es in den Beinen
und wer bläst in die Fanfaren?
Wir drehn uns immer schneller
bis wir befreit verschwinden

von dieser Erde aus genannten Gründen.


Und wieder ist der Friede …
freie Rede, freie Liebe,
freie Märkte, freies Handeln
frei für die Wende
alles muss sich wandeln.
Ref. Der Krieg spielt auf zum Tanze
wie schon vor tausend Jahren.
Wem zuckt es in den Beinen
und wer bläst in die Fanfaren?
Wir drehn uns immer schneller
bis wir befreit verschwinden
von dieser Erde aus genannten Gründen.


3 Als ich mein Herz noch auf der Zunge trug

Text: Gerd Eggers


Als ich mein Herz noch auf der Zunge trug
und immer sagte, was ich dachte,
da kam es vor, dass man mich dafür schlug,
es schlug zurück und heulte auf und lachte.


Ich hab mein Herz verschluckt, jetzt ist es da,

wo es die Ärzte haben wollten,
ist mehr dem Magen als den Augen nah,
durch die doch unsre Herzen sehen sollten.


Jetzt ist es stumm und schlägt für sich allein.

Mein Herz, es schlägt mir auf den Magen.
Ich möcht, die Ärzte mögen mir verzeihn,

ich möcht es wieder auf der Zunge tragen.


Der Potsdamer Lyriker Gerd Eggers (1945–2018) schrieb diesen Liedtext
Ende der 80er Jahre für den Singeklub Sturmvögel in Schwerin. Es war
das erste Lied, das ich auf einer Bühne gesungen habe. Jetzt, fast 40 Jahre

später, kam es mir wieder in den Sinn – mit einer neuen Melodie.


4 Sigi

Text: Heike Mildner


Wie man immer alles richtig macht
Sigi hat es uns beigebracht
Wir spielten und im Singeclub die Finger krumm
fürs Arbeiter- und Bauernpublikum
Von nichts kommt nichts, streng dich an
Glücklich, wer Erwartungen erfüllen kann
Mensch Sigi, und dann kam alles anders,
das ganze Land verschwand über Nacht
Eingeschlafen sind wir im Schützengraben
im Supermarkt aufgewacht
Und wir warn frei, zu machen, was wir wolln,
aber woher hätten wir wissen solln, was wir wolln


Der Supermarkt war super, die Regale gefüllt

und alles in den Duft der weiten Welt eingehüllt
Wir richteten uns zwischen all den Dingen ein
fortan damit beschäftigt Konsument zu sein.
Und Sigi tauschte seine Gitarre
gegen zwanzig Fußbälle ein,
spielen nach verlässlichen Regeln
im gemeinnützigen Verein
Denn wir warn frei, was wir wolln auch zu tun.
Sigi will Gras, Schienbeinschützer und Stolln
an deinen Schuhn.


Leider war es mir nicht gegeben

das Ruder einfach umzulegen
Und paar Brocken Lehm ausm Schützengraben
werd ich wohl für immer an den Sohlen haben.


Sigi tauschte seine Gitarre

gegen zwanzig Fußbälle ein,

spielen nach verlässlichen Regeln
im gemeinnützigen Verein
Denn wir warn frei, zu machen, was wir wolln,
aber woher hätten wir wissen solln, 
was wir wolln?


5 Leben im Oderbruch

Text: Heike Mildner


Leben im Oderbruch,
fortgesetzter Selbstversuch
Weit reicht das Auge,
weit, weit ins flache Land hinein,
hier wollte ich zu Hause sein
und nicht nur ein Gast
wollte hier bleiben,
weil es sich leichter leben lässt
fernab von Lärm und Staub und Stress,
tschüss Berlin, by by


Leben im Oderbruch,

fortgesetzter Selbstversuch
Alt war das Haus und es
stand schon paar Jahre leer
Wieder ein Großstadtspinner mehr
pfiff der Spatz vom Dach.
Doch als ich die Schwalben
den dritten Sommer brüten sah
war ich mir selber wieder nah,
ruhig, stark und frei.


Leben im Oderbruch,

fortgesetzter Selbstversuch
Wie find ich Arbeit
wo selbst die Eingebornen gehn,
um sich woanders umzusehn,
Oderbruch by, by
Doch als ich die Schwalben
den siebten Sommer brüten sah
war mir mein Stück Utopia
beinah schon geglückt.


Denn um Wurzeln zu schlagen,

ist der Boden hier immer noch fett und gut,

manchmal ein bisschen verhärtet,
da hilft nur lockern – und locker bleiben,
ne Fuhre Hühnermist – und locker bleiben,
es nehmen, wie es ist – und locker bleiben,
Gemüse hinterm Haus – und locker bleiben,
Stück Käse für die Maus – und locker bleiben,
n Biber inner Pfanne
und ne heiße Badewanne
ein schnelles www
und ne zündende Idee.
Was sagt der alte Fritz?
na, na, na – locker bleiben,
jeder nach seiner Fasson!
Leben im Oderbruch, 
fortgesetzter Selbstversuch.


6 Alles war gut 

Text: Heike Mildner


Alles war gut, bevor er kam

und es in seine Hände nahm.
Alles war gut, doch dann kam er
und machte mir das Leben schwer.

Mein Chef weiß alles besser ...


Was ich auch tu, er mischt sich ein.
Die Wahrheit kennt nur er allein.
Er zieht die Wahrheit magisch an,
weil er auch sonst fast alles kann.

Mein Chef weiß alles besser ...


Er ist nur halb so alt wie ich,
doch prägt die Weisheit seine Sicht,
nichts hier auf Erden findet statt,
wozu er keine Meinung hat.
Mein Chef weiß alles besser ...


Wenn er nicht da ist, weiß ich nicht,

was für- und gegen etwas spricht.
Ich bin so kopflos und konfus,
was soll ich machen, ach, mach Du’s.
Mein Chef weiß alles besser ...


Gib, Herr, dass er noch klüger wird,

im Bildungsdschungel sich verirrt,
von Lorbeerkränzen eingerankt
weit weg ne Professur erlangt.


Als Schlauer unter lauter Schlaun

kann er den andern‘s Ohr abkaun
die meinen wachsen wieder nach
und du hör zu, wenn ich was sag!
Denn ich weiß alles besser ...


7 Richtig Was los in BB

Text: Heike Mildner


Da rennt ein Wildschwein
durch die menschenleere Einkaufsstraße!
Ne, nich eins, da komm noch fünfe hinterher.
Und ein Coronamaskenträger
greift nach Pfeil und Bogen
Und für alle Fälle auch nach seinem Weitwurfspeer. 

Früher war er mal ein ganz patenter Siebenkämpfer, 

früher war er – unter uns – auch noch ne sie.
Bei Olympia achtundachtzig gabs ne Goldmedaille
für den SC Luckau und Eastgermany.
Jetzt rennt er vollvermummt
durch diese leere Einkaufsstraße,
bleibt  stehn und hält die Nase in den Wind:
Aus Richtung Ehrenhain am Stadtpark
hört er leises Grunzen
und er robbt sich ran,
weil da wohl seine Schweine sind.
Doch als er ankommt:
Totenstille unterm Kriegerdenkmal ...
dann bricht die Rotte los, über ihn her!
Und als er fünf Minuten später
wieder zu sich kommt,
steckt da ein großer, grauer Wolf
auf seinem Weitwurfspeer
und er singt: He, he, he,
da war ja wieder richtig was los in BB.


Da stehn zwei Gangster
vor ner leicht maroden Ganztagsschule,
ne nicht zwei, da sitzt ein dritter im Coupe.
Sie starrn zum Fenster
hinter dem Frau Müller unterrichtet.
Die Jungs der Achten
schieln ihr scheu ins Dekolleté.
Früher schweißte sie mal Rohre
an der Drushba-Trasse,
früher war sie – unter uns – auch noch ein Er.
Ignorierte all die Jahre,
was da in ihr brodelt,
die Wahl hatte sie eh nicht in der DDR.
Jetzt konjugiert sie mit der Sechsten
unregelmäßige Verben,
schaut arglos aus dem Fenster und erstarrt:
Oh fuck, herrjemine, die Brüder von Sergei,
mein altes Leben! Ja, Mafia war blöde,
doch die Wendezeit war hart!
Sie sieht die Knarren blitzen, duckt sich,
robbt zur Tür: „Hey Kinder, war schön mit euch,
doch leider muss ich gehn!“ Als Seitenaussteiger
sorgt sie noch einmal für Verwirrung,
Alarmknopf und Sirene, Feuerwehr, „Auf Wiedersehn!“
Die Kinder singen: „He, he, he,
da war ja wieder richtig was los in BB!“


Da rennt ein Tierrechtsaktivist
übers Betriebsgelände,
drei andre sind schon rüber übern Zaun.
Dem vierten hängt ein Wachhund an der Outdoorhose.
Ach, wär er, wie die andern schneller abgehaun!
Früher war er mal ein hochbegabter Waldorfschüler,
früher war er, unter uns, ein liebes Kind.
Jetzt bricht er ein in Ställe
und befreit die Massentiere,
sein Herz, es schlägt für Huhn und Pute,
Schwein und Rind.
Unter uns: Es schlägt für Katja mit den Karohemden,
drum schlägt er sich besonders rigoros.
Katja sitzt schon mit den andern im Geländewagen,
er weiß, im Zweifel fahrn sie ohne ihn los!
Der blöde Köter lässt nicht ab von seiner Wolfskinhose,
Puten überall, der Wachschutz naht.
Hilft nix: Hose runter! Er erklimmt den Zaun, springt rüber. 

Die Wachfrau macht ein Foto
von nem Nacktarsch im Spagat.
Und sie singt: „He, he, he,
da war ja wieder richtig was los in BB!“


8 Kleines Frühlingslied

Text: Heike Mildner


Dein Vogel hat sein Nest gebaut
nicht in einer Schlehenhecke,
nein, er nistet gut versteckt
ganz direkt unter meiner Schädeldecke.


Zwitschert fröhlich vor sich hin,
wie ist er da nur hingeraten?
So ganz leise, simsala,
war er da, fühlt sich ganz wohl in meinem Garten.


Sein Nest gepolstert mit Momenten,
Worten, Blicken und Gesang.
Nimmt mich lächelnd in Beschlag,
wie ichs mag, querfeldein und mittenmang.


Frühlingswind weht durch Synapsen,
weich und wild und wunderlich.
Hör ich seine Melodie – spät und früh –
wünsch ich mir, er meine mich.

9 Subkutan
Text: Heike Mildner


Es war ein wunderbarer Tag,
er traf mich wie der Flügelschlag
einer Glücksfee.
Ein ganzes Festkommitee
hätte das nicht planen können!
Jedem würd ich sowas
wenigstens einmal im Leben gönnen:
Dieses Glücksgefühl! Jedes Molekül
meines Körpers fühlte sich
zu deinem hingezogen
und ein wunderbunter Regenbogen
aus Her und Hin und Für und Wider
in meinem Kopf. Neuer Vers, alte Lieder:
Hatt’ ich nicht gesagt: Nie wieder?

Subkutan, du gehst mir unter die Haut
subkutan, fremd und vertraut
gehst du mir unter die Haut.


Jetzt stehst du ganz dicht neben mir,
und ich erwache aus dem Traum.
Du siehst mir in die Augen
und ich weiß, ich kann dir traun.
Dieses Glücksgefühl! Jedes Molekül
meines Körpers singt dir eine kleine süße Melodai 


und dann sticht es und dann brennt es
und dann ist es schon vorbei.

Subkutan, du gehst mir unter die Haut,
subkutan, fremd und vertraut
gehst du mir unter die Haut.


Ach ja, das wars dann wohl für diesmal,
heute werde ich entlassen.
Du bestellst mir schon ein Taxi
und ich kann es noch nicht fassen:
Unsre Zeit ging viel zu schnell,
viel zu, viel zu schnell vorüber.
Ich bin traurig, du gelassen,
stehst mir gegenüber –
dieses Glücksgefühl! Jedes Molekül
meines Körpers wird dich heut
und in Ewigkeiten lieben,
du mein starker, süßer, schöner
Krankenpfleger von Station sieben.
Subkutan, du gehst mir unter die Haut,
subkutan, fremd und vertraut
gehst du mir unter die Haut.


10 Grübeln

Text: Martin Miersch


Vom Hundertsten ins Tausendste
zurück und wieder hin,
im Kopf das Rauschen einer Muschel
mit sieben Meeren drin.

Wie auf sieben Ozeanen
immer hin und her,
siebenmal hoch sieben Fragen
schwimmen kreuz und quer.


Nachts frag ich den Märchenspiegel,
der nie Antwort gibt,
wie ein Buch mit sieben Siegeln
hinter sieben Brücken liegt,
hinter sieben Hängebrücken
häng genauso durch, ich trag
sieben Bärte und Perücken
siebenmal pro Wochentag.


Dreh mich siebenmal im Kreise,
siebenmal kehr ich zurück,
siebenmal auf gleiche Weise
auf der Suche nach dem Glück.

11 Das Lachen
Text: Martin Miersch

Was nicht wahr ist, wird dir wahr erscheinen,
was dir falsch erscheint, ist sicher wahr.
Fische zappeln an den falschen Leinen,
trübes Wasser scheint dir völlig klar.


Falsche Priester nehmen unverhohlen
falsche Beichten ab, was ist dabei?
Und die Wahrheit schleicht auf leisen Sohlen
durch das Kerzenlicht der Sakristei


Das Dunkel öffnet den Rachen
Lachen, Freunde, immer nur lachen


Was du zu sehen scheinst, ist nie geschehen
was wirklich vorgeht hast du nicht gesehn
du sieht die Uhren scheinbar rückwärts gehen
und eh du dich versiehst, ist es um dich geschehn


Das Dunkel öffnet den Rachen
Lachen, Freunde, immer nur lachen


Was ich euch zeige, braucht ihr nicht zu glauben,
seht und vergesst, was euch beschwert.
Wir wollen immer nur die süßen Trauben,
bis sich das Süß in Bitterkeit verkehrt.

12 Zauberfee

Text: Heike Mildner


Manchmal kann ich meinen Nächsten
nicht so lieben, wie er’s bräuchte.
Harte Worte, grobe Gesten
und nicht grad die hellste Leuchte.
Hey, Zauberfee, brau uns einen Zaubertee!
Wer ihn trinkt, wird sanft und weise,
liebevoll und zugewandt,
und die Lauten werden leise,
Morgenland und Abendland singt:
Hey, Zauberfee, brau uns einen Zaubertee!


Und es füllen sich die Lungen
ohne Maske vorm Gesicht,
und es wird wieder gesungen,
alles ist im Gleichgewicht!
(das hat vorerst schonmal geklappt)


Plötzlich wollen alle teilen
von Berlin bis Burgenland,
und es öffnen sich die Tore
den Gestrandeten am Rand!
Hey, Zauberfee, brau uns einen Zaubertee!


Ist der Tee schon eingekesselt,
liebste Fee, s ist höchste Zeit,
jemand hat nen Krieg entfesselt,
alle sind gewaltbereit.
Deutsche Offiziere planen,

wie man ferne Brücken sprengt,

und die hier zum Frieden mahnen,

werden an den Rand gedrängt.

Hey, Zauberfee, brau uns einen Zaubertee!


Harte Herzen werden weicher,
weiche Eier fassen Mut,
und die Armen werden reicher
und das Ganze endlich gut!
Hey, Zauberfee, brau uns einen Zaubertee!